NACHRICHTEN-TICKER
KRITIK: 1984, Almeida Theatre ✭✭✭✭✭
Veröffentlicht am
30. März 2014
Von
stephencollins
1984
Almeida Theatre, jetzt im Playhouse Theatre
29. März 2014
5 Sterne
Als ich George Orwells erschreckendes Meisterwerk, 1984, zum ersten Mal las, erinnere ich mich lebhaft an zwei Dinge: dass 1984 unerreichbar schien und dass die Szene mit den eingesperrten Ratten in Bezug auf Folter unübertreffbar schien.
Aber ich dachte auch, dass die Idee, dass eine Regierung Menschen einer Gehirnwäsche unterziehen würde, reine Fantasie sei; dass unsere Welt niemals eine sein würde, in der Überwachung die Norm und Privatsphäre eine fast vergessene alltägliche Vorstellung wäre; dass elektronische Medien niemals unser Leben kontrollieren oder als Mittel zur Kontrolle, Beruhigung oder Unterwerfung einer freien Gesellschaft eingesetzt würden; dass die Vorstellung, dass eine Regierung ihre Bürger ausspionieren oder ohne Angabe von Gründen festnehmen würde, Märchenstoff sei.
Und doch sind wir hier. In einer Welt, in der Orwells Visionen im Vergleich zu einer Realität, die Regime umfasst, in denen Homosexuelle faktisch „Nicht-Personen“ sind; eine Amerika (das vermeintliche Zuhause der Freiheit), das Inhaftierung und Folter ohne Habeas Corpus zulässt; in der Menschen regelmäßig soziale Medien nutzen, ohne zwischen Fakt und Fiktion unterscheiden zu können; in der die Existenz von Fox News erlaubt ist; wo es tatsächlich Neusprech und Altsprache gibt, sicherlich in der digitalen Kommunikation, aber auch anderswo durch den beharrlichen Griff der politischen Korrektheit; in der Menschen wie Snowden und Manning schlechter behandelt werden als Massenmörder; und wo Australien im Geheimen regiert und so reformiert wird, dass die Zukunft zur Vergangenheit wird.
Fast zahm.
Aber in der lebendigen Inszenierung von Robert Ickes und Duncan Macmillan ihrer brisanten und außerordentlich intensiven Produktion der Adaption von Orwells klassischem Roman, die gestern Abend im Almeida Theatre endete und bald ins West End verlegt wird, ist „zahm“ das letzte Wort, das einem einfällt.
Die Adaption gelingt es, alle großen Schrecken, die Orwell voraussah, zu synthetisieren und auf interessante, fesselnde und ziemlich beängstigende Weise zu präsentieren. Gleichzeitig gibt es eine Zurückhaltung, eine Distanz, einen Beobachtungssinn, der, anstatt die Erfahrung zu mindern, sie intensiviert. Man empfindet nicht unbedingt Empathie für Winston auf seiner Reise, sondern erlebt sie mit ihm, empfindet Erleichterung, dass es ihm und nicht einem selbst passiert, und fragt sich, wie man das bewältigen, was man tun würde?
Das liegt teilweise an der distanzierten, aber erfahrenen Schauspielkunst des gesamten Ensembles. Teils liegt es daran, dass Bildschirme und Videos einen prominenten Platz in der Komposition der Produktion einnehmen, sodass das Publikum nicht nur die Handlung sieht, sondern sie durch versteckte Überwachungsgeräte sieht. So wird die Frage, was real und was imaginär ist, schwer fassbar, nicht greifbar.
Das Ergebnis ist so verstörend, wie es nur möglich sein könnte.
Und Applaus dafür. Denn Orwells Ziel war es nicht, einen Roman zu schreiben, den man lesen kann, während man am Pool oder am rauschenden Meer liegt. Und obwohl sich das eigene Wahrnehmen seit der ersten Lektüre des Romans geändert haben mag, knistert seine rohe, untergrabende Kraft weiterhin mit einer intensiven und furchteinflößenden Wucht. Die grundlegenden Fragen sind immer noch dieselben: Wem kann man vertrauen? Was ist Geschichte? Was ist Realität? Was braucht es, um dich zu brechen?
Chloe Lamford stellt ein großartiges Bühnenbild bereit, das die Dualität in Winstons Leben elegant kombiniert: Es wirkt real, fühlt sich aber nicht so an. Die Multimedia-Aspekte sind nahtlos verwoben. Zusammen mit Natasha Chivers' außergewöhnlicher Beleuchtung (es gibt Momente, in denen man Winstons Folter allein durch die Beleuchtung teilt) pulsiert der Raum mit versteckter Kraft und sorgt für großartige Momente: Das erste abrupte Dunkel wird durch sechs Menschen, die plötzlich und still auf der Bühne erscheinen, von einem Moment auf den nächsten ausgelöst. Dieser Augenblick setzt den Ton – waren sie vorher da und wir sahen sie nicht oder sind sie wirklich erst jetzt hier?
Mark Arends ist wunderbar als Winston, in jedem Aspekt vollkommen glaubwürdig. Alles ist klar: die Fragen, die Leidenschaft, die Gewissheit, die Angst, die Unsicherheit, die Demütigung, der letzte verbleibende fragile Kern der Menschlichkeit. Es ist eine herausragende Darbietung. Die Folterszenen sind nahezu unerträglich.
Genauso eindrucksvoll ist Tim Dutton als O'Brien, Winstons geheimnisvoller, blutleerer, lächelnder Vernehmer und Zerstörer. Er spielt Winston wie ein Instrument und es gibt einen musikalischen Sinn in seiner Darbietung, der es umso fesselnder und erschreckender macht.
Hara Yannas ist besonders gut als Julia, aber das gesamte Ensemble leistet hervorragende Arbeit. Sie sind spezialisiert auf Seltsamkeit und abgeschottete Desorientierung.
Dies ist wirklich erstklassiges modernes Theater: herausfordernd, unterhaltsam und hinterfragend.
Rupert Goolds Vision für das Almeida ist elektrisierend. Die ersten drei Produktionen, Chimerica, American Psycho das Musical und dieses 1984, deuten darauf hin, dass ein neues goldenes Zeitalter des Almeida bevorsteht. Die Aussicht auf die nächste Produktion, King Charles III, verspricht großes.
© BRITISHTHEATRE.COM 1999-2024 Alle Rechte vorbehalten.
Die BritishTheatre.com Website wurde geschaffen, um die reiche und vielfältige Theaterkultur des Vereinigten Königreichs zu feiern. Unser Ziel ist es, die neuesten Nachrichten aus dem UK-Theater, West End-Rezensionen und Einblicke sowohl in das regionale Theater als auch in Londoner Theaterkarten bereitzustellen, damit Begeisterte stets auf dem Laufenden bleiben, von den größten West End Musicals bis hin zu avantgardistischem Fringe-Theater. Wir sind leidenschaftlich daran interessiert, die darstellenden Künste in all ihren Formen zu fördern und zu unterstützen.
Der Geist des Theaters lebt und blüht, und BritishTheatre.com steht an der Spitze, um den Theaterliebhabern rechtzeitige und autoritative Nachrichten und Informationen zu liefern. Unser engagiertes Team von Theaterjournalisten und Kritikern arbeitet unermüdlich daran, jede Produktion und jedes Event zu behandeln, sodass Sie einfach auf die neuesten Rezensionen zugreifen und Londoner Theaterkarten für Must-See-Shows buchen können.